Dein Kampf

„Als geborener Rebell kann ich gar nicht anders. Ich muss einfach die Welt verändern“. Oha! Da bohrst Du aber mal an einem gewaltig dicken Brett, mein Lieber. Steckst Dir ein wahrhaft erhabenes Ziel, um nicht zu sagen: Verdammt unrealistisch. „Natürlich wird das nicht von heute auf morgen gelingen, aber dafür kämpfe ich, bis ich sterbe“. Was soll ich darauf antworten? Was will man an Verwertbaren aus ’ner Sprachwurst quetschen, aus der vorn und hinten ranziges Pathos quillt?

Möglicherweise beginnst Du das neue Jahr ja damit, Deine Hirngespinste endlich zu hinterfragen. Auch wenn man sich eine Fama noch so triftig zurechtbiegt, so wird daraus doch keine Wirklichkeit. Und aus einem Kondensstreifen kein Chemtrail. Du forderst Respekt für Deine Gedankengebäude aus Angst ein. Willst Du nicht selbst mal dran arbeiten, Standpunkte und Lebenswirklichkeit deiner Nächsten zu respektieren akzeptieren immerhin zuzubilligen? Nein? Keine Bange. Darauf hoffe ich auch nicht wirklich. Warum solltest Du ausgerechnet jetzt beginnen, was Dir seit jeher entbehrlich schien? Wirst wohl weiterhin nur Dich selbst bemitleiden. Deine Schreckgespenster in die Herzen derer pflanzen, die Dir vertrauen. Ihre Empfänglichkeit mit klebriger Fürsorge vergiften, damit Du in Deiner Einsamkeit nicht so einsam sein musst. Bist dazu verdammt, in Endlosschleife jenen Aufmüpf vorzugaukeln, den Dir Dein kleinbürgerliches Sicherheitsbedürfnis dann doch immer wieder kaltlächelnd torpediert.

Was fürchtest Du denn so hysterisch, wenn Du Dich doch einmal an die eigenen Urängste wagtest? Der freimütige Blick nach innen könnte helfen, das Außen immerhin ein wenig weitherziger zu sehen. Womöglich bräuchte man diese Welt dann ja gar nicht mehr aus den Angeln heben, damit sie auch für Dich passt. Und vielleicht fändest Du auf diesem Weg sogar zu jenem innerem Frieden, dem Deine heillose Angst vor dem Leben schon viel zu lange wutschnaubend im Weg steht.

Venezia und Chrisi

Zwei junge Frauen schreiben mit wasserfesten Stiften ihre Namen auf ein Brückengeländer. Aufgeregt. Nicht einmal, sondern zigfach. Als wollten sie sich durch die stete Wiederholung ihrer Namen der besonderen Tiefe ihrer Gefühle füreinander versichern. Als sei überhaupt nur eine solche Manifestation imstande, Zuneigung verlässlich zu beweisen. Gegen jede Widrigkeit zu schirmen – vielleicht. Oder wollen sie einfach nur ihre Euphorie mit aller Welt teilen?

Das mag im vorletzten Herbst – kann geradeso eines frühen Sommers gewesen sein. So erinnere ich mich zwar der Aktion an sich, wohingegen ich Witterung oder andere Rahmenbedingungen längst vergessen habe. Frage mich seither beim Überqueren dieser Brücke immer mal wieder, ob die öffentliche Bekundung beider Gemütsbewegungen bereits überdauert hat, oder ob das gemeinsame Glück tatsächlich noch immer Fortbestand haben wird, wenn auch der letzte Buchstabe von der Sonne verblasst – und vom unermüdlichen Regen abgewaschen sein wird.

Der Heiligenberg …

… im September. Noch hat die Infrarotfotografie Saison. Marie hatte mir auf den Weg mitgegeben, man könne sich an weißem Grün irgendwann auch stattsehen. Das geht mir durch den Kopf, als ich mich in Position gebracht habe, um Schlossberg in Herbstsonne durch eine Waldschneise abzulichten. Ein kräftiger Herr, er mag in seinen Vierzigern sein, geht dasselbe Motiv eben mit einer sehr viel kleineren Kamera an. Seinen Dialekt ordne ich, aus einer verkramten Erinnerung heraus, irgendwo dem mittleren England zu. Tatsächlich bestätigt der Mann, in Sheffield aufgewachsen zu sein. Habe in jüngeren Jahren ein paar Brötchen mit Pressefotografie in London verdient, seither aber eher halbherzig und unmotiviert geknipst. Sei kürzlich erst auf die Streetfotografie verfallen, die sich mit einer klobigen D4 naturgemäß nur beschränkt befriedigend bewerkstelligen lasse. Schon, weil die Motive der Begierde angesichts dieses Kalibers gewöhnlich zwischen misstrauisch und verschnupft reagierten – zuweilen gar höchst unpossierlich zu posieren begännen. Was sich durchaus mit leidvollen Erfahrungen deckt.

Aus diesem Grund habe er schließlich die Lumix angeschafft. Schon weil die meisten Fotografierten hinter ihr nichts als einen weiteren Touristen sähen, der sie auf seinem gewünschten Erinnerungsfoto als Beifang oder notwendiges Übel in Kauf nähme. So sie ihn überhaupt bewusst wahrnämen, sobald er aus der Hüfte ballere. Dabei grient er wie ein Lausbub und präsentiert stolz die Ausbeute von zwei Tagen Alltäglichkeit in Heidelberg. Keine Frage. Der Mann verfügt zweifellos über Auge und Händchen und weiß, wovon er redet. Und ich bin ganz Ohr.

Freilich hat es nicht viel mehr Argumente gebraucht. Noch am selben Abend überführe ich eine Handvoll Kamera mit zwei Mausklicks in meinen Besitz. Ein Schäppchen – selbstredend. Dazu muss man wissen, dass ich ohnehin recht geübt im Erfinden von triftigen Gründen für unvernünftiges Handeln bin. Tatsächlich erlaubt das Klappdisplay ausgesprochen beiläufige Schnappschüsse aus jeder Perspektive, wenn man sich erst mit den Einstellungen und technischen Finessen vertraut gemacht hat. Und ich habe schon wesentlich mehr Knete für ein einziges mittelmäßiges Vollformat-Objektiv verschwendet. Mit diesem Werkzeug tun sich Möglichkeiten auf, die ich jahrzehntelang stur ignoriert habe. Seit ich die Kamera auf meinen Touren jederzeit griffbereit in der Tasche habe, gehe ich aufmerksamer durch die Stadt. Schaue hin. Nehme vermeintlich Gewohntes in ganz ungewohnter Weise wahr. Eine durchaus brauchbare Erfahrung.