… im September. Noch hat die Infrarotfotografie Saison. Marie hatte mir auf den Weg mitgegeben, man könne sich an weißem Grün irgendwann auch stattsehen. Das geht mir durch den Kopf, als ich mich in Position gebracht habe, um Schlossberg in Herbstsonne durch eine Waldschneise abzulichten. Ein kräftiger Herr, er mag in seinen Vierzigern sein, geht dasselbe Motiv eben mit einer sehr viel kleineren Kamera an. Seinen Dialekt ordne ich, aus einer verkramten Erinnerung heraus, irgendwo dem mittleren England zu. Tatsächlich bestätigt der Mann, in Sheffield aufgewachsen zu sein. Habe in jüngeren Jahren ein paar Brötchen mit Pressefotografie in London verdient, seither aber eher halbherzig und unmotiviert geknipst. Sei kürzlich erst auf die Streetfotografie verfallen, die sich mit einer klobigen D4 naturgemäß nur beschränkt befriedigend bewerkstelligen lasse. Schon, weil die Motive der Begierde angesichts dieses Kalibers gewöhnlich zwischen misstrauisch und verschnupft reagierten – zuweilen gar höchst unpossierlich zu posieren begännen. Was sich durchaus mit leidvollen Erfahrungen deckt.
Aus diesem Grund habe er schließlich die Lumix angeschafft. Schon weil die meisten Fotografierten hinter ihr nichts als einen weiteren Touristen sähen, der sie auf seinem gewünschten Erinnerungsfoto als Beifang oder notwendiges Übel in Kauf nähme. So sie ihn überhaupt bewusst wahrnämen, sobald er aus der Hüfte ballere. Dabei grient er wie ein Lausbub und präsentiert stolz die Ausbeute von zwei Tagen Alltäglichkeit in Heidelberg. Keine Frage. Der Mann verfügt zweifellos über Auge und Händchen und weiß, wovon er redet. Und ich bin ganz Ohr.



Freilich hat es nicht viel mehr Argumente gebraucht. Noch am selben Abend überführe ich eine Handvoll Kamera mit zwei Mausklicks in meinen Besitz. Ein Schäppchen – selbstredend. Dazu muss man wissen, dass ich ohnehin recht geübt im Erfinden von triftigen Gründen für unvernünftiges Handeln bin. Tatsächlich erlaubt das Klappdisplay ausgesprochen beiläufige Schnappschüsse aus jeder Perspektive, wenn man sich erst mit den Einstellungen und technischen Finessen vertraut gemacht hat. Und ich habe schon wesentlich mehr Knete für ein einziges mittelmäßiges Vollformat-Objektiv verschwendet. Mit diesem Werkzeug tun sich Möglichkeiten auf, die ich jahrzehntelang stur ignoriert habe. Seit ich die Kamera auf meinen Touren jederzeit griffbereit in der Tasche habe, gehe ich aufmerksamer durch die Stadt. Schaue hin. Nehme vermeintlich Gewohntes in ganz ungewohnter Weise wahr. Eine durchaus brauchbare Erfahrung.

