Noch ’n Fotokünstler

Marie hat einen Fotokurs für Fortgeschrittene geschenkt bekommen. An der Abendakademie, wo seit jeher ambitionierte Amateure, wie unverschämte Selbstdarsteller Fachkenntnis und Talent als Pädagogen beweisen dürfen. Du kannst tatsächlich nur auf dein Glück hoffen. Dieser Kollege gehörte zweifellos zur zweiten Kategorie. Arbeitete sich immer wieder abfällig an den „Billigscherben“ seiner Schüler ab, nicht ohne dabei ausdrücklich rauszuhängen, über welch formidablen Fuhrpark er selbst verfüge. Was der Mann ziemlich unverhohlen suchte, waren zahlende Bewunderer für seine eigenen Fotos. Die er entsprechend stolz und ausgiebig präsentierte. Vergaß auch nicht, die Philosophie seiner Fotografie lang- und breitzutreten. Vermittelte seinen Schülern nur eben das notwendigste an nützlichem Fotowissen – damit die Show nicht gar so ichbezogen rüberkam.

Selbstverständlich käme Nachsitzen bei den eigenen Fotos gar nicht in die Tüte. Wie Bildbearbeitung wirklichen Könnern generell verzichtbar sein sollte. Dümmer gehts wirklich nimmer – und verlogener auch nicht. Erzählen doch die Metadaten derartiger Hochglanzerzeugnisse regelmäßig davon, dass beinahe jeder dieser „Puristen“ nachbessert. Warum auch nicht? Aus welchem Grund sollten sensible Korrekturen ein ordentliches Foto entwerten? Wurden nicht schon zu Zeiten analoger Fotografie sämtliche Tricks ausgepackt, um zum gewünschten Ergebnis zu kommen? Profis wedeln dunklere Bildbereiche seit jeher ab. Diese Möglichkeit blieb Hobbyfotografen ohne Dunkelkammer noch verschlossen. Mit dem Aufkommen der digitalen Fotografie und entsprechender Bearbeitungsmöglichkeiten gehört auch das gezielte „Aufhellen“ dunklerer – oder absaufender – Bildbereiche längst zur Routine ambitionierter Fotofreunde. Schließlich kann selbst edelste Optik Hell-Dunkel-Kontraste nicht ausgleichen wie das menschliche Auge.

Viele künstelnde Autodidakten scheinen von der eigenen Genialität nicht weniger überzeugt, als vom Stümpertum aller anderen. Glauben sich folglich berechtigt, verächtlich machen zu dürfen, worüber ein anderer gerade eben noch ganz glücklich war. Noch anstrengender als die schulmeisternde Penetranz solcher Fotofachbeurteiler sind meist nur noch ihre lackierten Lehrbuchfotos. Um das Attribut: „seelenloser Edelkitsch“ höflich zu vermeiden. Und Kunst? Was adelt Kunst als solche? Wird bereits Kunst, was das Kunstverständnis verstiegener Fachtrottel und ihrer Schranzen als solche verkaufen? Durchaus möglich. Ich jedenfalls empfinde als Kunst, was Stilempfinden und Gemüt gleichermaßen anspricht.

Prinzipien eines Grundschülers

Die Temperaturen dieses frühen Märztages erlauben selbst meiner Unverfrorenheit noch keine kurzen Ärmel. Wenige Schritte vor mir arbeitet ein vielleicht Acht-oder Neunjähriger Trottoirplatten ab. Meidet hüpfend jeden Spalt dazwischen. Wo eine lebendige Fantasie spielerisch drohende Abgründe überwindet und lebensrettende Inseln erreichen muss, nehmen Netzhaut und Realität des Erwachsenen nichts anderes wahr, als sandverfugtes Betonsteinpflaster und dessen ungesittete Vermüllung. Wenn überhaupt noch. Seine Jacke hat der Knabe unter die Tragriemen seines Schulranzes geklemmt.

Frierst Du gar nicht?“ störe ich seine Mission so naseweis wie altväterlich. Er überlegt nicht lange. Vergisst dabei keine Sekunde, auf einer Platte zu balancieren. „Eigentlich schon,“ klärt mich das Bürschlein schließlich selbstbewusst auf, „aber Montag, Dienstag und Mittwoch ist doch Sommer.“ „Ahsooo,“ dehne ich jäh entwaffnet und um Zeit zu gewinnen. Kucke vermutlich nicht eben geistreich aus der Wäsche. Hätt ich ja auch selber drauf kommen können. Füge folglich wenig schlagfertig und mehr zu mir selbst an: „da kann man wohl nichts machen“. Rufe ihm sogar ein hilfloses: „erkälte Dich bloß nicht,“ hinterher, während er in seinem Sommer davonhüpft. Von Klippe zu Klippe, über Canyons und Schluchten – und womöglich sogar ein wenig bibbernd.