Auch diese Geschichte ist 2006 in Krakow entstanden. Ich rauchte damals noch wie ein Schornstein in Nowa Huta. Auch musste man mich seinerzeit nicht allzu sehr bitten, das eine oder andere Fläschchen zu leeren, wenn der Anlass passte. Heute suche ich Zerstreuungen subtilerer Art – und weniger gesundheitsschädliche. Trotzdem möchte ich auch nicht eines dieser herrlich anarchischen Besäufnisse missen, an denen ich in Krakow, Warszawa, oder sonstwo in Polen teilhaben durfte. Außerdem… habe ich in dieser Zeit nicht etwa gute Freunde gefunden – auch und insbesondere meinen Freund Wiktor?
Wiktor liebt Edyta und Wiktor liebt auch Stefan. Die Reihenfolge alterniert zuweilen in die eine oder andere Richtung. Selten, so scheint es, sind Wiktor beide zu viel. Edyta böte wahrscheinlich häufiger Anlass zu etwaigen Trennungsgedanken. Aber Wiktor denkt gar nicht an Trennung. Wiktor liebt wie er lebt.
Stefan ist Wiktors Hund. Ein deutscher Schäferhund ist Stefan, nicht geadelt, ohne Schnörkel und Stammbaum also. Hofhund, Gartenhund, Hundehüttenhund ist Stefan – Wachhund folglich. Mehr ist zu Stefan nicht anzumerken. Ich hatte freilich zu bellenden Vierbeinern von jeher keinen Bezug.
Edyta trägt eine rechteckige Brille aus eingeschwärztem Horn, welche das Kantige ihrer Physiognomie noch unterstreicht. In erster Linie ist Edyta Geschäftsfrau. Aus hartem Holz ist sie geschnitzt, könnte man sagen. Edyta kauft und verkauft Häuser und Wohnungen. In Poznań, in Warschau, in Lodz auch. Lebt verwirrend flüchtig – Überholspur. Nennt einen neuen Sportwagen ihr Eigen. Schwarz und aggressiv, mit einem Grill, der an ein Raubtiergebiss erinnert. Edyta reist recht viel, ist in allerlei Geschäften unterwegs. Immobilien erwerbe sie mittlerweile bevorzugt in Poznań. Poznań prosperiere im Immobereich – behauptet jedenfalls Edyta. Sie raschelt mit einem Vorvertrag und Wiktors rundliches Gesicht nickt freundlich zu ihren Ausführungen.
Edyta beschäftigt sich unablässig mit Statistiken und Bankauszügen, denn Edyta liebt den Geruch des Geldes. Den Dunst eigenen Vermögens insbesondere. Der Gedanke, im Alter einmal finanziell unabhängig und sorgenfrei versorgt zu sein versöhnt Edyta. Versöhnt sie vor allem mit ihrer Angst vor dem Älterwerden. Die Vorstellung einer sorglosen Versorgtheit eines fernen Tages lässt sie einen befriedeten Schlaf finden.
Zuweilen wird Edyta von einer linden Sentimentalität angefächelt. Dann fädelt sie kurzzeitig auf der rechten Spur ein. In solchen Momenten liebt Edyta vornehmlich Wiktor.
Wiktor selbst verschwendet keinerlei Gedanken ans Altsein. Er ist dreiundvierzig, aber dieser Umstand soll ausschließlich der Vollständigkeit halber erwähnt bleiben. Ist Wiktor nicht ohnedies Kind geblieben?
Kinder bauen gerne, folgerichtig baut auch er also. Wunderbare Kamine konstruiert dieser Wiktor. Feuerstellen, die nicht nur ihre Funktion erfüllen, sondern zudem schlicht und schön sind. Die Grundmaterialien für seinen Kaminbau findet er in aufgelassenen Häusern und Ruinen rund um sein Quartier.
An sein Jugendfahrrad hat Wiktor mit kupferfarbenem Schweißdraht einen zweirädrigen Anhänger montiert. Er findet immer eine praktische Lösung, schiebe das Rad ohnedies, von daher sei die Rahmenhöhe nebensächlich – meint Wiktor. Wöchentlich einmal holpert Stefans Bedarf – wie auch Wiktors Bevorratung an Zubr und Warka fleischduftend und flaschenklirrend durch Pruszków an der Peripherie Warschaus.
Mit seinem Einachser transportiert Wiktor etwa halbjährlich einen besonderen Hort nach Hause. Nämlich all die vorübergehend funktionslos gewordenen Kacheln und ziegelrote Steine aus besagten Abbruchäusern. Manchmal ist auch ein rußiges Ofenrohr an Bord.
Im Baumarkt um die Ecke nimmt er noch zwei Sack Zement auf. Ein Weg – denn Arbeitszeit beißt Freizeit. Wiktor denkt wie ein osteuropäischer Südeuropäer. Agiert folglich effizient und materialmordend. Die Achse des Wägelchens hängt manchmal bei halb sechs. Ein blauer Uno gammelt seit zwei Jahren am Straßenrand vor sich hin. Verdallerte Kotflügel. Frisst nur noch Versicherung und rostet dem Schrottplatz zu.
Daheim wird ausgepackt. Bescherung ist in der Küche. Wiktor klopft mit dem Spitzhammer sorglich alte Speisreste ab. Dann beginnt er mit den Berechnungen. Zunächst zeichnet, addiert-subtrahiert, multipliziert-dividiert er. Überprüft hernach alles noch einmal gewissenhaft. Ein paar Stunden später lächelt er zufrieden. Schmiert sich eine Stulle mit Leberwurst, saure Gurke obenauf. Zieht ein, zwei schnelle Zubr oder Warki ab.
Edyta schätzt es gar nicht, wenn Wiktor Bier aus der Flasche trinkt. Rümpft pikiert das Näschen. Der Andrzejdoktor, sein Freund setze ebenfalls den Flaschenhals an, argumentiert Wiktor bei solchen Gelegenheiten stets. Schmallippig wischt Edyta seinen Einwand ebenso regelmäßig beiseite. Der Andrzej sei eben verdammt gewöhnlich und könne schon deshalb kein Vorbild sein, akademischer Lorbeer hin oder her. Womöglich ist Edyta ein bisschen eifersüchtig auf Wiktors Freund Andrzej. Wiktor kann ziemlich widerborstig werden, wenn es um seine Freunde geht. Also schmollt Wiktor jetzt ein bisschen. Holt sich trotzdem ein Glas vom Spültisch.
Am nächsten Tag beginnt Wiktor umzusetzen, macht sich an die Praxis. Er schichtet und mörtelt, er schwitzt und bäckt. Schleift, dengelt, kantet, kleistert und knistert. Zerrt ein paar Tage später Edyta, glücklich wie ein Kind, vor die fertig gestellte Esse. Erklärt ihr geduldig deren besondere Finesse und Funktionsweise. Noch geduldiger lauscht Edyta – Standspur. Jetzt lächelt auch sie wieder. Freut sich auf ein paar mörtelfreie Wochen. Küsst ihn herzhaft auf den Mund. Das sind jene unausgesprochenen Momente, in denen Edyta ihren Wiktor grundlos liebt. Einfach so, frugal. Dann rudern beide im Gleichtakt. In Augenblicken wie diesen weiß sie, weshalb sie seinerzeit in Wiktors Junggesellenbude eingezogen ist.
Spätestens nach sechs Monaten aber tut Wiktor das, was auch die meisten anderen Kinder gerne tun. Er schleift den Kamin nämlich. Schwebt ihm doch eine energieeffizientere Konstruktion vor. Bricht also die gemauerte Feuerstelle mit einem kindskopfgroßen Bello ebenso stillvergnügt wieder ab, wie er sie ein halbes Jahr zuvor hochgezogen hat.
In solchen Augenblicken fragt sich Edyta, wie sie das Leben an der Seite eines solchen Chaoten erträgt. Brummt ein paar Stunden am Küchentisch über staubigen Summen und Saldi. Manchmal braust sie auch los. Nach Poznań meist, um eben mal eine Wohnung in ihren Besitz zu überführen. Tut das so fahrlässig, wie unsereins Frustschuhe kauft.
Wiktor selbst fragt niemals nach der Essenz oder dem Wahnwitz eines Vorhabens oder Tuns. Wiktor ist auch kein Chaot. Er ist unkompliziert und tolerant auf rührende Weise. Ist Wiktor guter Dinge, besteht er aus einem ausschließlichen Lachen. Füllen sich seine Augen, ist er eben traurig. So elementar ist mein Freund Wiktor. Er lädt also die Trümmer des Funktionalen auf. Befüllt seinen Anhänger mit den Überresten schlichter Schönheit – wieder einmal. Pfeift auf die Sinnfragen allen Daseins. Karriolt den abgebrochenen Kamin einfach wieder ab.
Viele Freunde habe ich nicht. Die meisten habe ich zehnmal durch den Schleudergang gejagt, bevor ich zuversichtlich sein konnte, dass sie mich nicht gleich beim ersten Ungemach im Regen stehen lassen würden. Trenne solchermaßen die Spreu vom Weizen. Lebenserfahrung. Ich weiß ein paar, die werden, jetzt wissend – oder seufzend – nicken. Wiktor ist mein Freund. Einfach so, vom ersten Tag an und ohne jede Erprobung. Eine solche hätte seine Treuherzigkeit gar nicht nachvollziehen können. Ich fand ihn letzten Sommer in Bieszczady. Traf ihn dort, wo sich in den menschenleeren Wäldern die letzten Bären und Wölfe Europas ihr Revier noch selbst suchen dürfen.
Wiktor saß schweigend auf der hölzernen Treppe eines Bauernhauses und beobachtete ein Amselpärchen. Dieses zerpflückte nach Art seiner Gattung Morsches. Hackte aufgeregt gelbschnäblig nach Kriechinsekten.
Vielleicht konstruierte Wiktor gedanklich und nebenher einen neuen Kamin. Ich vermag das jedoch nicht zu behaupten, habe auch nie nachgefragt. Wahrscheinlicher scheint mir heute, dass er ausschließlich auf seine Beobachtung konzentriert war. Nur darauf – ohne tatsächlich an etwas anderes zu denken. Es entspräche seinem ‚Ganz oder gar nicht‘ einfach eher. Von Multitasking ahnt Wiktor wohl nicht einmal etwas.
Das will keineswegs sagen, Wiktor sei etwa einfältig – im Gegenteil. Wiktor ist das ganze Gegenteil einer intellektuellen Einbahnstraße. Gerade ob seiner entschiedenen Beobachtungsgabe und der prunklosen Folgerungen wegen möchte ich ihn als beneidenswerten Philosophen bezeichnen.
An jenem Sommertag ließ ich mich wortlos neben ihm nieder. Sehnte mich einfach nach Menschennähe. Gemeinsam sahen wir den Amseln bei ihrer Futtersuche zu. Wechselten lange kein Wort miteinander. Verstanden uns gleichwohl und wurden also wirkliche Freunde.
Mein Freund Wiktor feiert Geburtstag. Mir geht jegliche Motivation ab, nach Warschau zu fahren. Warschau war mir schon immer suspekt. Zumal der Zielsetzung eines geburtstäglichen Besäufnisses wegen. Drei Stunden einfach – mit dem Schnellzug immerhin. Aber mein Freund Wiktor weiß auch anzufüttern. Keiner seiner Freunde dürfe fehlen. Eine Schnapszahl (er betont das Wort auf Deutsch) sei hierzuland von außerordentlicher Bedeutung. Ebenjener Begriff weckt mein Misstrauen. Seine Eminenz stimmt mich weichherzig. Was tut man nicht alles für seine Freunde.
„Einmal Warschau retour bitte sehr, zweite Klasse – ja mit dem Krakus – Hinfahrt heute – wie bitte – nein Rückfahrt bleibt offen – jawohl notfalls auch Nichtraucher – so ich ihn denn noch erreiche mit dem 11:55 Uhr bitte“.
In Zachodnia strahlt mir ein rosiges Gesicht entgegen. Vorstadtbahnhof, umtriebig und vielgleisig. Auch Wiktors Hände sind blitzblank. Fingernägel helle Halbmonde, kein neuer Kamin also. Alle werden kommen, versichert Wiktor unentwegt. Offenbar will er sich selbst Mut zuzusprechen. Reibt sich vorfreudig die weichen Hände. Des erwarteten Andranges wegen wird die Leberwurst geklotzt. Äthanol bedarf eines soliden Unterbaus. Salzgurke obendrauf. Wattiger-Kopf-Prophylaxe. Diverse Warki begleiten die Arbeitsschritte. Süß und süffig sind die, kommen mit breitschultrigen siebenkommaacht Umdrehungen daher. Gläser verbieten sich von selbst. Edyta huldigt in Poznań ihrer Altersvorsorge.
Wir rauchen und reden. Wiktor raucht wie er lebt. Es bedeutet schiere Entspannung Wiktor beim Rauchen zuzusehen. Versonnen sieht er den bläulichen Schwaden nach. Hascht zuweilen sanft nach ihnen. Mich selbst verlangt nach dem Nervengift. Meistens mache ich drei Schachteln am Tag weg. Wiktor genießt nur. Raucht, wie ein Kind rauchen würde. Materie – Antimaterie sind wir. Göttliches Bewusstsein zumal. Folglich sind wir. Also rauchen wir auch, heute zur Meditation.
Es geht auf acht. Die Klingel bleibt stumm. Visavis tauschen wir Lebenserinnerungen aus. Sind alt genug, um Themen zu finden. Zu jung freilich, um schon geduldig zu sein – Beide. Wiktor pustet, tastet nach Bläulichem. Die Tischplatte biegt sich unter Streichwurstgebirgen, Salzigem und Flaschenbatterien.
So wird es dreiviertel und dämmert bereits. Klingel um halb neun ausprobiert – klingelt, erfüllt also zweifelsfrei Funktion. Neun vorbei. Wir sitzen uns noch immer gegenüber. Einsilbig, noch quecksilbriger nun. Zwischenzeitlich qualme ich exaltiert Kette. Wiktors Augen beginnen sich unmerklich zu füllen. Musik muss her, lärmig für zwei. Vor allem flächendeckend. Wiktors Tränen werden mich nur an die eigene Traurigkeit erinnern.

Vorausschauend wechseln wir schon jetzt von Warka zu Wodka. Feiern zudem vorläufig zu dritt. Schließlich sollte keine Ressource ungenutzt bleiben. Stefan darf freilich nur ausnahmsweise mittun. Damit die Party nicht gar so fad losgeht. Die gewonnen 100% Bein beleben die Stube ungemein. Der Hofhund ist heute einmal Haushund, Partylöwe, Trostzamperl.
Um zehn haben wir eine halbe Flasche Zubrowka intus. Rollt abgehakt um elf unter den Tisch. Leere Flaschen haben in Polen nichts auf dem Tisch verloren. Ein einleuchtendes Herkommen. Man kann selbst in der Hitze eines Gefechts niemals fehl gehen. Spart wertvolle Zeit im Hinblick auf die Zielsetzung. Stefan muss freilich abstinent bleiben. Basisdemokratische Entscheidung. Insofern brauchen wir auch nur durch zwei zu teilen. Ganz kleines Einmaleins. Gegen Mitternacht springt Wiktor die Tanzwut an. Ein Krakowiak, meiner Wahlheimat zu Ehren soll es sein.
Mit mir als Antagonisten selbstredend. Rechtzeitig fällt mir ein, ausgerechnet den Krakowiak zeitlebens nur mäßig beherrscht zu haben. „Tanz lieber mit Stefan“, humpelt es schwerfällig von meinen Lippen. Ist sowieso vernünftiger.Einer muss schließlich führen.So volkstanzt Stefan eben mit Wiktor – mir zur Erbauung.

Während Wiktor und Stefan schwofen, verschaffe ich mir Vorsprung. Nutze schofel die Gunst des Augenblicks und schütte mir zügig drei Kurze auf die Lampe. Wiktor ist ohnedies konzentriert abwesend. Stefan trinkt vereinbartermaßen nicht. Für jeden einen also. So gesehen korrigiert oft schon ein geringfügig geänderter Blickwinkel jedwede moralische Schieflage. Immerhin bemühe ich mich pflichtschuldig, mir die subtile Schrittfolge polnischen Brauchtums beiläufig für andere Gelegenheiten zuzueignen.
Gegen eins kullert die zweite Flasche. Wiktor fuselt losgelöst. Patscht weichhändig nach Blaukringeln. Meine eigene Untröstlichkeit hat das Hochprozentige unterdessen nur ausgebaut.
Es mag gegen Zwei gehen. Wiktor proklamiert aus dem weit geöffneten Fenster die Stunde null der Einheit aller Völker – in russischer Sprache. Stefan verhört derweil ein paar Schnittchen, während eine wohlwollende Einsicht das Licht bei mir endlich abschaltet. Für mich ist die Party zu Ende.
Um halb neun finde ich zurück ins Leben. Häschenstellung, ausgewachsener Kater. Über dem Hinterkopf dräut das Tischgestell. Vor meiner Nase ein interessiert geöffnetes Hundeauge.

Leberwurstbäuerchen, salzgurkenlos. Ich habe zu Vierbeinern keinerlei Bezug. Schon gar nicht zu deren Manieren. Hatte ich schon seit der Kindheit nicht mehr. Woher denn? Bin ich denn nicht ohne Hunde aufgewachsen? Freilich unterhielt auch meine primäre Sippe seinerzeit einen Vierbeiner. Mit einem rosa Stummelschwänzchen.
Wenn sich Lord nicht gerade von seinen Strapazen erholte oder Proteine zuführte, fuhr er Rad. Bis er eines Morgens stramm in der Streu lag. Direkt neben seinem Rädchen. Tat keinen Mucks mehr. Hatte sich übernommen wie Tom Simpson am Mont Ventoux.
Bittere Tragik eines Hochleistungssportlers. Lord radelte sich um sein Leben, bevor er noch die Meriten einfahren konnte. Wir begruben den Gefährten unserer Kindheit dermalen feierlich hinter dem Käfertaler Bunker. Requiem für einen Nager. Blondgezopft meine Schwester, angelegentlich schnullernd die Jüngste, haifischbeckendicke Brillengläser ich. Sommer war’s, Schwimmbadzeit. Zwischen scharfer Ranunkel und mildem Knöterich bekam der Unermüdliche seine Ruhestätte. In einer spanhölzernen Zigarrenkiste – Sumatra Fehlfarben.
Obschon Lord als austrainierter Sportler recht drahtig war, war er doch in erster Linie Athlet. Infolgedessen musste man den Deckel schon ein bisschen kneren, damit die goldfarbene Klammer ordnungsgemäß einrastete. Ich vermag mich nicht zu erinnern, ob dieser widrige Umstand der gebotenen Pietät des Anlasses Abbruch tat. Viel Zeit für eine angemessene Trauerbewältigung blieb ohnedies nicht. Anderntags lauerte eine fiese Rechenarbeit meiner. Das Rad des Lebens nimmt keine Rücksicht auf individuelle Befindlichkeiten.
Wahrscheinlich habe ich aufgrund jener unverarbeiteten Trauer einen beachtlichen Knack weg. Nicht wenige behaupten, dieser beschränke sich nicht nur auf die Tierliebe an sich. Ganz nebenbei ist mir seither auch jeder schweißtreibende Sport zuwider. Mathematik sowieso.
Hingegen bewies jener anspruchslose Nager zu Lebzeiten in jeder Situation ein sicheres Gespür für Etikette. Folgern also lässt sich, dass mir, allein schon dieser Tatsache wegen, jedes Verständnis für ausgemacht leberwurstlastige Hundeeruktationen abgeht. Zumal, wenn diese direkt auf meinen Riechkolben abgezogen werden.
„Zieh Leine, Stinkvieh“, knurre ich also. Stefan der Stammbaumlose, scheint ausschließlich des Polnischen mächtig. Leckt mir schweifwedelnd einmal quer übers Gesicht. Mein Hinterkopf macht sich nun doch mit dem Tischgestell bekannt. Ergründet gleichsam die endlichen Weiten des Universums. Die Rechte reibt die Sternenwelten aus dem Schädel. Die freie Hand tastet nach einem Wurfgeschoss. Ein Mann sieht rot. „Warte Freundchen, jetzt setzt es was.“ Stefan scheint sich endlich doch der Sprache seiner Urväter zu besinnen. Macht sich jedenfalls vom Acker, bevor ich mich unglücklich mache.
Wiktor schnarcht selig im Sessel. Auf seinem schicken Kosakenhemd und der Auslegeware gären einträchtig angedaute Leberwurst, Salzgurkenklein und Fusel. „Schönen Geburtstag auch“, krächze ich. Stolpere in die Küche und pumpe das zuständige Wasserwerk ab. Gegen zwei ruft der Andrzejdoktor an. Er käme heute Abend was später, ob es recht sei? Freilich ist uns das recht. Sehr sogar. Tatsächlich trudeln alle Eingeladenen, wie von Wiktor vorhergesagt, pünktlich gegen acht ein.
Schließlich hat selbst mein Freund Wiktor nur einmal im Jahr Geburtstag.
