Friede den Hütten

Prächtige Zeiten für Scharlatane und Wichtigtuer. Was treibt die Mühlen der Dummheit schließlich geschwinder an, als Halbwahrheiten, Gerüchte und Vorurteile? Was für gewöhnlich wenig nachhaltig und eher unbeachtet an beschmierten Scheißhauswänden verblasst, bekommt im Ausnahmezustand endlich seine Bühne. Ventiliert in beflissene Mikrofone, kriecht in empfängliche Ohren. Bahnt sich seinen Weg in verzagte Herzen und infiziert jede Vernunft. Fachliche Kompetenz, Seriosität und Relevanz werden hingegen panisch angezweifelt, diffamiert – und nicht selten massiv angefeindet, weil gerade die Wirklichkeit Angst machen kann.

Fatalererweise werden durch derart angeheizte – handfeste wie irrationale – Ängste die zunehmend real existierenden Idiokratien dieser Welt nicht nur am Leben gehalten, sondern sukzessive auf solidere Fundamente gestellt. Obwohl der gesunde Menschenverstand annehmen sollte, dass die armselige Nacktheit der gefühlten Kaiser, Zaren, oder Sultane unter den gegenwärtigen Umständen auch dem untertänigsten Untertan gar nicht mehr verborgen bleiben kann. Ein Virus diktiert, und die imperiale Krämerseele reagiert wie sie stets reagiert. Verschwörungsgefasel und Selbstvergötterung als schierer Reflex – Pathos, Posen und Paranoia statt Besonnenheit und Souveränität. Im Kalkül dieser Windbeutel geht es nie um Menschen, sondern immer nur um Kontrolle und Dominanz.

Selbstverständlich geht es auch um Kohle. Immer geht es um Kohle. Wenn die Wirtschaft allzusehr humpelt, ist schließlich selbst für den gewieftesten Taktiker irgendwann Schicht im Schacht. Insbesondere damit, dem eigenen Klüngel die Taschen vollzupacken. Gleichwohl ist Raffgier meist nur Nebenaspekt der Macht. Man packt halt ein, was sowieso am Wege liegt. Richtig geil macht Soziopathen erst, die menschliche Seele in Angst und Schrecken zu versetzen. Legionen von Lemmingen für die eigene Mission auf jeden, noch so kranken, Trip schicken zu können. Die dann auch, dankbar für den bereitgestellten ideologischen Überbau, noch immer verlässlich vereint in jeden moralischen Abgrund marschiert sind. Die einenden Feindbilder bauen Tyrannen nach eigenen Interessen auf und ab. Verschwörungsdenken befördert Zusammenhalt und Abwehrbereitschaft zusätzlich. Menschliche Historie zeigt hinlänglich, dass es erschreckend wenig braucht, um aus orientierungslosen Einzelkämpfern eine fremdbestimmte Horde Vandalen zu formen.

Anzunehmen, dass am Ende selbst hunderttausende Tote dieser Pandemie nur ein paar dramatische Fußnoten in den Lobgesängen gefälliger Biografen abgeben werden. Die noch nie ein Problem damit hatten, historische Schuld in Heldenepen umzudichten. Was nicht weniger infam ist: Wie so oft werden die meisten der substanzlosen Gockel trotz ihres Kapitalversagens wohl wieder einmal ungerupft davonkommen.

Zu viele sind das betreute Denken gewöhnt, sind aufgehetzt, verängstigt – oder schlicht zu satt, um immerhin in diesen Zeiten zu bewegen, was sie gemeinsam immer bewegen könnten. Aber was würde sich in den Hütten ändern, jagte man die blankärschigen Despoten aus ihren prahlerischen Palästen? Lehrt doch die Geschichte ebenfalls, dass sich womöglich ein noch abgefeimterer Hochstapler fände. Einer der es noch skrupelloser versteht, die aufgestörte Herde in seinem Sinn zu verwerten. Vielleicht sogar einer jener Psychopathen, die immer schon wussten, dass sie zu Höherem berufen sind. Weil’s ihnen ihr Gott höchstselbst geflüstert hat, die gute Fee an der Wiege – oder eine orakelnde Abortschüssel am Autobahnrastplatz.

Freilich darf all das keineswegs als Entschuldigung für die eigene Engstirnigkeit herhalten. Für die fatale Sehnsucht nach der ordnenden Hand, nach Orientierung. Der wohligen Illusion, irgendwelchen Auserwählten zuzugehören. Sein Denken und Handeln einer ranzigen kleinen Ideologie zu verschreiben. Die eigene Belanglosigkeit an einer Schicksalsgemeinschaft oder in einem fatalen Zweckbündnis aufrichten zu wollen. Denn am Ende trägt jeder selbst die Verantwortung dafür, zu schwach zu sein, um auf eigenen Beinen zu stehen. Und dafür, noch immer nichts von der Welt verstanden zu haben.