Ich werde wohl nie begreifen, wie man sich in einem geöffneten Cabriolet freiwillig gegen die Welt verschanzen kann. Hinter bündig hochgekurbelten Scheiben und einem wehleidigen Windschott. So säße die Fönwelle selbst bei gestrecktem Galopp bombenfest, erklärte mir mal einer mit tuntigem Unterton. Na dann! Sollte ich eines Tages tatsächlich damit anfangen, meine Fusseln in Form zu fönen, mag ich womöglich auch darüber nachdenken, im Fahrzeuginnern eines Roadsters jederzeit für Behaglichkeit zu sorgen. Wirklich vorstellen möchte ich mir das allerdings lieber nicht.
Einstweilen sehe ich jedenfalls weder die Notwendigkeit, in jeder Lebenslage geschniegelt daherzukommen – noch scheint mir sonstwie sinnvoll, den Fahrtwind auszusperren. Ein Cabrio – das ist die ärmellose Bluse auf nichts als nackter Haut. Für die sommerliche Sinnlichkeit, wie der legendäre Fritz B. Busch einst sinngemäß textete. Und – so möchte ich hinzufügen – für unzählig unwiderstehliche Momente zwischen Aschermittwoch und Allerseelen.
Wer freilich mit einem empfindlichen Genick geschlagen ist, in jeder Lebenslage das aufgebrezelte Prinzesschen geben muss, oder seine Halbglatze verschämt unter einem haltlosen Haarteilchen zu verheimlichen sucht, sollte sich besser gleich an den, meist sogar eleganteren, züchtig zugeknöpften Bruder des Cabrios halten. Für die dosierte Luftzufuhr böte sich ein Schiebedach an. Auch knarzt die Karosse eines Coupes auf unebenem Geläuf weniger, da bauartbedingt stabiler. Den Anspruch, großeinkaufsfreundlich wie etwa ein Kombi daherzukommen, haben die beiden sportiven Geschwister ohnedies nicht.
Kurz und gut, im Cabrio darf – nein muss – es auf Landpartien jederzeit ziehen wie Hechtsuppe. Das sollte bei freier Fahrt dermaßen toben, dass man nicht mal das eigene Freudengeheul hört. Wer einmal im offenen Wagen nach einem Mairegen oder durch eine schwüle Sommernacht gefahren ist, wird die betörende Sinfonie tausenderlei Gerüche nie wieder vergessen. Das kriegt der fähigste Parfumeur in tausend Jahren nicht hin.
Überhaupt! Was juckt mich ein Regenband? Bin ich aus Zucker? Bei flotter Gangart kommt eh weniger Wasser im Wageninneren an, als man vermuten könnte. Wenn ich all das eines Tages nicht mehr genießen kann, steige ich womöglich direkt auf Rollator um. Wahlweise auf einen jener wasserabweisenden Einachser, die ältere Menschen als Einkaufshilfe gern hinter sich herzoppeln. Die jedenfalls mehr Sexappeal mitbringen als eine hochgeschlossene Bluse oder jeder dieser unerhört praktischen, hochbeinigen Hausfrauenpanzer. Wer sich von dergleichen, aus dem Leim gegangenen, Schuhkartons mit Fenstern gar ästhetisch angesprochen fühlt, mag vermutlich auch die Möglichkeiten seiner Ikea Family Karte aufregend finden.
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Mit Zwanzig war ich unsterblich. Mit Dreißig meinte ich locker aufschieben zu können, wofür auch später genug Zeit sein würde. Wurde mit Vierzig überglücklicher Vater und verscharrte den Vagabunden der Landstraße leichten Herzens. Begrub meinen Traum vom Chopper zwischen all den anderen gestrandeten Kindheitsträumen und jener leisen Zuversicht, mein Leben als eisbärtiger Stoiker auf einer Penichette zu beschließen. Freilich sind manche Träume lebensfähiger, als andere.
Mit Anfang Fünfzig wurde ich nachdrücklich daran erinnert, dass ich weder Zwanzig, noch unsterblich war. Gevatter Hein schaute angelegentlich auf einen Besuch vorbei und zeigte sich keineswegs uninteressiert. Plötzlich gehörte ich nirgendwo mehr hin. Nicht mehr zu den Lebenden und noch nicht zu den Toten. Eine brutale Erfahrung. Von einer Sekunde auf die andere entgleitet dir die Kontrolle über alles was du bist, was du je warst und – das vor allem – was du sein wirst. Dein Schicksal liegt in eines Fremden Händen. Der Operateur war nicht nur ein richtig feiner Kerl, sondern verstand offensichtlich auch sein Handwerk.
Als ich schließlich mit meinem zusammengedrahteten Brustkorb hilflos auf dem Buckel lag und nächtelang die Zimmerdecke anschwieg, versprach ich mir alles, was sich in einer solchen Situation sicherlich beinahe jeder verspricht: Fortan jeden einzelnen Tag wertzuschätzen. Nachholen, was man glaubt, versäumt zu haben. In einer dieser Nächte erwachte auch mein scheintoter Traum vom Lowrider wieder und buddelte sich aus seinem Grab. Seit je an Motorroller gewöhnt, kleinere und große, hatte ich es auf Zweirädern selten mit der Angst bekommen. Prasselte auf teils lächerlich winzigen Pneus unerschrocken über die holprigen Kreisstraßen der Umgebung. Räuberte um enge Ecken, bis der Hauptständer Funken schlug.
Mit diesem Bike kam es anders. Schon bei der Probefahrt hatte mich nicht besonders kommod gefühlt. Das werde sich geben, pfiff ich mir Zuversicht zu und schlug ein. Ließ es umbauen, schließlich sollte alles genauso sein, wie in meinen Träumen. Half nichts. Der Überschwang wich dem unbehaglichen Gefühl einer steten Überforderung. Immer öfter kletterte ich nur aus Respekt auf das schwere und fremd gebliebene Objekt gewesener Begierde. Dem Respekt vor der Fähigkeit jenes Mechanikers der es verstanden hatte, die Basis meines juvenilen Traums vom theatralischen Ritt in den Sonnenuntergang eins zu eins umzusetzen. Musste mir irgendwann eingestehen, dass ich selbst einfach nicht mehr souverän genug für dergleichen schnulzige Auftritte war.

Das Bike, von dem ich schon als Pickelboy geträumt habe, ist längst Erinnerung. Irgendwann gehen pubertäre Schwärmerei und Runzelarsch auch bei bestem Willen nicht mehr zusammen.
Wahrscheinlich war ich das sowieso nie. Wiederholt und unvermittelt befürchtete ich, Flugsand könne die Maschine in einer Kurve unbeherrschbar machen und mir im nächsten Moment unweigerlich Beine oder Rippen zertrümmern. Was hin und wieder zu einer recht skurrilen Fahrweise geführt haben mag. So musste alle anfängliche Euphorie schließlich einer ziemlichen Frustration über meine Unzulänglichkeit weichen.
Womöglich bin ich auch erst in jenen endlosen Kliniknächten zur Zweiradpussy geworden. Denkbar, dass das havarierte Herz im Stillestehen einiges von seiner oft kopflosen Herzhaftigkeit eingebüßt hat. Besonders souverän kann ich in dergleichen Schreckmomenten jedenfalls kaum rübergekommen sein. Hoffte jeden ausgehenden Herbst, der einstige Mumm werde über den Winter vielleicht zu mir zurückfinden. Habe das Motorrad schließlich im dritten Sommer verkauft. Kann mir mittlerweile Bilder davon ansehen, ohne sogleich in Minderwertigkeitskomplexen abzusaufen.
Vielleicht sollte man manche Träume eben einfach nur träumen. Weil deren Verwirklichung die Selbstwahrnehmung in den Grundfesten erschüttern könnte. Für mich sind jedenfalls ärmellose Blusen der Gipfel mobiler Sinnlichkeit. Nachher weiß man’s aber eh. Seit ein paar Jahren finde ich zunehmend Freude an ausgedehnten Spaziergängen. Laufe mittlerweile beinahe täglich. Entdecke eine Welt, die man von einem Fahrzeug aus nicht mal bemerkt. Der Wagen steht immer häufiger rum, setzt da und dort bereits Moos an. Nicht, dass ich offene Blusen überhaupt nicht mehr reizvoll fände. Nur macht’s mich halt längst nicht mehr so heiß wie früher.
Apropos früher. Die Stiefel. Waren über Jahrzehnte praktisch an meine Füße angewachsen. Unmerklich zum unvermeidlichen Bestandteil des natürlichen Fahrgestells in allen Lebenslagen geworden. You can leave your Boots on. Womöglich ermahnten die Weggenossen ungezählter Sommer und Winter latent, dass ich meinem Schicksal die Erfüllung eines Traums vorenthielt. Kästners Gustav hatte seine Hupe, die ihm alle Tage das Fehlen des dazugehörigen Zweirads vor Augen führte. Und sind Boots ohne Bike nicht just wie ein Tröte, die ihrer Bestimmung benommen ist? Eine Hupe will nun mal hupen. Um den Sinn allen Seins in einem Halbsatz auf das Wesentliche zu schrumpeln. Folglich konnten diese Treter gar nicht anders, als erste Wahl zu werden. Motiv zu sein, als es galt, in Photoshops Flegeljahren ein Gif zu animieren.
Wir alle müssen tun, wozu wir bestimmt sind. Vereinfacht ist Karma die konsequente Abfolge der eigenen Existenz auf Grundlage individueller Dispositionen. Höher muss man das gar nicht hängen, aber weniger isses eben auch nicht. Wie auch immer. Jedenfalls hat diese frühe Animation ihre späte Bestimmung gefunden – taugt immerhin zum makabren Jokus. Darf als geschmackloser Aufmacher für ein paar krude mobile Anekdötchen herhalten. Was soll’s aber? Ist nicht das halbe Leben eine unfassbar niveaulose Posse?
