Von der Vollkommenheit

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Seit ich als Kind angehalten wurde, mir Ziele zu setzen, wuchs mit den Zielsetzungen ganz beiläufig auch das Verlangen nach Perfektion. Allerdings fand sich garantiert eine Unzulänglichkeit, die mir in die Parade fuhr, sobald ich diese beinahe erreicht zu haben glaubte. Das konnte mich früher so fuchtig machen. So wurde ich in jüngeren Jahren mit mäßigem Talent, aber sehr viel Training ein recht passabler Golfer. Übte verbissen bei jedem Wetter und oft gnadenlos gegen meine körperlichen und mentalen Reserven. Merkte irgendwann und nach ungefähr fünfzehn Jahren, dass ich auch meine spielerischen Limits offenbar erreicht hatte. Das Handicap stagnierte schon geraume Zeit, dümpelte sozusagen im Auge des Hurrikans. Bald nach dieser Erkenntnis und von heute auf morgen schmiss ich beleidigt hin. Wachte eines Nachts auf und wusste einfach, dass dieses Kapitel nichts mehr zu bieten hatte. Kündigte den Vertrag, nicht ohne beträchtlichen finanziellen Verlust, leerte meinen Spind und fuhr nie wieder hin.

Ich hätte einfach aus Freude am Spiel und auf meinem Level Spass haben können, wusste aber, ohne Zielsetzung hätte mir das wenig gebracht. Meine Motivation, meine treibende Herausforderung, war ja stets gewesen, mich selbst – meine eigenen Vorgabe – zu unterbieten. So gewann ich zwar das eine oder andere lokale Turnier, gefiel mir gleichwohl darin, Bescheidenheit zu demonstrieren und mich innerlich bereits wieder an den mäßigeren Schlägen meiner Siegerrunde hochzuziehen. Sich hin und wieder von der Meute abzuheben war nun mal ein eher kurzlebiges Vergnügen und bedeutete wenig. Was ging mich die Schlägerbeherrschung anderer Menschen an, was ihr Glück oder Pech auf der Runde? Alles drehte sich um die Verbesserung meines Handicaps – um eine positivere Selbstwahrnehmung- und darstellung durch einen beständigen Leistungsnachweis auf hohem Niveau mithin. Ich wollte endlich jener lässige Gewinner sein, den ich so gern spielte.

Tatsächlich macht es für das Erreichen gesetzter Ziele unbedingt Sinn, die eigenen Fertigkeiten perfektionieren zu wollen. Diese Vollkommenheit als Lohn der Mühen zu erwarten, ist hingegen eher daneben – wenigstens das habe ich mittlerweile eingesehen. Bin heute immerhin imstande, die Arroganz einer solchen Einstellung zu erkennen und die Schattenseiten einer derart ungesunden Selbstbeschneidung wenigstens verstandesmäßig zu begreifen. Nebenbei ist mir längst klargeworden, dass man durch das Erreichen des Unerreichbaren vermutlich erst recht Freude und Interesse am Erstrebten verlöre.

Anders als beim Tennis bietet das Golfspiel keine Ausreden für das eigene Geholze. Spielst du doch stets den Ball weiter, den du mit deinem vorherigen Schlag an genau diese Position geschlagen hast. Während Mitspieler ihre Bälle oft munter und allerbester Dinge von Rough zu Rough prügelten, diese ohne weiteres heimlich besserlegten und gelungene Schläge durchaus nicht als Selbstverständlichkeit hinnahmen, sondern sich dafür auch noch kindisch feierten, nahm ich das Spiel ernst. Viel zu ernst. Zuweilen schien es, als wolle ihre Wurstigkeit meine Verkniffenheit noch verhöhnen. Ich verlangte Seriosität und vergaß darüber den Spass. Ließ mir meinen Unmut selten anmerken, petzte auch nie, konnte mich aber maßlos über jede schnodderige Spielauffassung, über die plumpen kleinen Schummeleien ärgern. An besseren Tagen darf ich Leichtfüße schon mal um ihre Zwanglosigkeit beneiden, habe mich aber bisher erfolgreich drum gedrückt, meinen unmenschlichen Selbstanspruch nachhaltig loszulassen. Was käme danach? Offensichtlich habe ich affektiv noch immer was davon, mir gelegentlich auf ziemlich schräge Art selbst den Arsch zu küssen.

Vollkommenheit ist nichts weniger als der Gegenentwurf zum Nichts. Mehr geht also nicht. Die Fähigkeit, dieses ultimative Limit allein durch Streberei und Sturheit erreichen zu können, wäre naturgemäß ebenso allgemeingültig, wie dessen faktische Unmöglichkeit. Einfacher: Theoretisch könnte dann auch jeder Talentlose dieses Maximum erreichen, aber eben niemand auch nur ein Quäntchen mehr. Klingt für mich jetzt nicht so wirklich motivierend.

Disposition, Trainingsfleiß und Ehrgeiz können als Gesamtpaket Idole hervorbringen. Wenn nur eines fehlt, reicht es sehr wahrscheinlich nicht in den sportlichen Olymp und selbst mit allen Voraussetzungen niemals zur Vollkommenheit – und das ist gut so. Wer würde sich denn beispielsweise noch für Leichtathletik interessieren, wenn alle gleich prädisponierten, emsigen und talentierten Läufer Brust an Brust das Zielband zerrissen? Wenn jeder motivierte Weitspringer auf den Zentimeter gleichweit spränge? Man könnte genausogut baugleiche Roboter gegeneinander laufen oder springen lassen. Wahlweise jedem seine Medaille bereits vor dem Start überreichen.

Weitere Bedeutungen der Vollkommenheit können hier außen vor bleiben. Darüber sollen klügerere Köpfe zerbrechen. Mich hat seit je primär der Aspekt der Erreichbarkeit handfester Zielsetzungen interessiert und was das mit mir selbst gemacht hat – und macht.