
Als ich neulich, noch im Morgengrauen, aus einem deprimierenden Traum erwachte – womöglich zu erwachen glaubte, schien meine Wahrnehmung umfassend und auf merkwürdige Weise verändert. Ich könnte nicht einmal benennen, dies oder das sei so anders gewesen. Vermag lediglich festzustellen, dass sich die Transformation des Bewusstseins sehr real anfühlte – und keineswegs wie der Streich einer bizarren Fantasie oder einer spirituellen Verstiegenheit. Mir schien, als habe sich meine Welt über Nacht nachgerade zu einer Chimäre ihrer selbst gewandelt.
Seltsamerweise war ich keineswegs beunruhigt. Ich würde lügen, wenn ich behauptete, überhaupt sonderlich berührt gewesen zu sein. Ich nahm es hin, beobachtete. Als wahrscheinlichste Erklärung schien mir bald, ich müsse wohl einfach gestorben sein.
Sei nun als eine Art metaphysischer Zwilling Protagonist einer womöglich bewusst choreografierten Fortsetzung der eigenen Endlichkeit. Habe Daseinsebenen mit derselben Selbstverständlichkeit gewechselt, mit der man in einen Zug am Gleis gegenüber umsteigt. In einen Zug, auf dem als Ziel vielleicht Reduktion steht – oder Restriktion. In einen Zustand, der nur noch nach Reflektion verlangt – und sich nicht mehr für eitle Ziele wie Selbstbehauptung oder Meriten abmüht. In welchem man die vorbeiziehenden vertanen oder genutzten Chancen aus der Distanz betrachtet, einem persönlichen Resümee entgegen reist – wer kann es wissen? Die Tore zu Erkenntnis oder ewiger Dämmerung jedenfalls schon im Blick, wenn man es richtig hoch hängen möchte.
Ich sah mich einerseits außerstande, loszulassen. War andererseits nicht wirklich sicher, überhaupt loslassen zu wollen. Vielleicht aus einer zwanghaften Besorgnis, einen notwendigen Prozess mutwillig zu unterbrechen, vielleicht aus Neugier, wo diese – vorläufig richtungslose – Reise tatsächlich hinführe. Während einer Wanderung hörte ich, wie unzählige Male zuvor, den entfernten Motorenlärm eines Ackerschleppers, das gleichmäßige Rauschen der Autobahn im Tal. Registrierte den knirschenden Kies, das Knacken eines dürren Asts unter der Schuhsohle oder das Schmatzen von Gummi auf einem durchweichten Feldweg. Vermochte alle Begleitgeräusche unzweideutig zuzuordnen – und konnte doch kaum glauben, es handle sich um mehr, als das verwehende Echo der Geläufigkeit.
Unterschied verschiedene Arten von Folien über dem Spargel und fragte mich, wann wohl die Saison begänne, obwohl ich doch andernorts – blind, taub und bedürfnislos geworden – nur noch verdichtete Erde zu kauen vermochte. Zerrte im Gym wie ein Ertrinkender an zu dicken Gewichten, um der neuen Realität womöglich die breite Brust zu bieten. Wehrte mich trotzig dagegen, dass Muskeln und Sehnen längst auf dem Friedhof faulten. Verputzte Rindsrouladen mit Rosenkohl. Verdaute und schiss, während sich in der anderen Wirklichkeit die Würmer längst daran gemacht hatten, meine vergänglichen Reste zu kompostieren.
Lachte mit meiner Tochter, obwohl diese in meiner vergangenen Welt doch zeitgleich bitterlich um ihren Verlust weinen mochte. Bemerkte gleichwohl mit ängstlicher Ambivalenz, wie sich mein Herz noch immer verstolperte, obgleich es vor Nächten bereits aufgehört haben konnte, überhaupt zu schlagen.
Schlug, eines anderen sonnigen Morgens, die Augen auf und stellte ebenso unaufgeregt fest, dass sich dieses Gefühl ebenso selbstverständlich und vollständig davongemacht-, wie es sich in jener Nacht beigesellt hatte. Alles schien, wie es immer gewesen war. Womöglich habe ich mich aber auch nur ans Totsein gewöhnt.
Wer vermag mit letzter Sicherheit zu entscheiden, ob wir sind, was wir zu sein glauben – oder ob die ganze Hatz nur geschickte Spiegelfechterei ist. Ein bisschen Kurzweil oder Zerstreuung launiger Götter. Nichts als die abgefeimte Farce eines fortbestehenden Unterbewusstseins, das uns nach unserem irdischen Dasein für alle Zeiten mit einem Daunenbett aus barmherziger Gewohnheit zudeckt. Unter seiner Beständigkeit begräbt, um uns darüber hinwegzutrösten, dass alles, was wir tagtäglich zu erleben glauben, nichts ist, als eine verdammt gut gemachte Erinnerung an uns selbst.
